In einer Welt, in der alles möglich ist, stehen wir vor der grössten Krise des freien Willens. Internationale Unternehmen, die mächtiger sind, als Staaten, kämpfen um unsere Aufmerksamkeit und verkaufen sie. Sie haben direkten Zugang über einen kleinen Computer, den wir ständig und freiwillig auf uns tragen.
Wie stehen da unsere Chancen, selbst über uns zu bestimmen? James Williams beschreibt in seinem Buch «Stand out of our Light» ein Gedankenexperiment, das die Entwicklung auf den Punkt bringt:
Wenn wir die Absicht hätten, den Willen eines Volkes zu brechen. Wenn wir eine Gesellschaft möglichst unselbständig machen wollten. Was könnten wir tun?
Gedankenexperiment
Eine Möglichkeit wäre ein Trainingsgerät für Willensschwäche entwerfen und die Leute damit zu trainieren. Williams nennt das Gerät den iTrainer.
Der iTrainer liefert möglichst viel Ablenkung. Er ist stimulierend und hat unwiderstehliche Inhalte. Wenn der iTrainer in der Nähe ist, wird es schwierig sein, die Aufmerksamkeit länger davon fernzuhalten.
Der iTrainer soll möglichst klein sein, damit die Leute ihn immer auf sich tragen können. Wenn sie ihn weglegen würden, dann könnten sie wieder selbst denken und ihr eigener Wille könnte zum Vorschein kommen.
Um die Willensschwäche weiter zu fördern, könnten im iTrainer intelligente Algorithmen eingesetzt werden, damit er sich an das individuelle Verhalten der Menschen anpassen kann und das Maximum an Zeit und Aufmerksamkeit abziehen kann.
Stellen wir uns vor, wir starten so ein Experiment. Zu Beginn wäre die Willenskraft der Leute noch da. Es wäre irritierend, wenn jemand in einem Gespräch gleichzeitig einfach den iTrainer hervorholen und sich darauf konzentrieren würde.
Nach einigen Jahren, wenn alle Menschen so weit sind, dass sie sich nicht lange konzentrieren können, wäre solches Verhalten vielleicht normal. Das Ziel, die Gesellschaft möglichst unselbständig und willensschwach zu machen könnte mit dieser Strategie funktionieren, oder was denkst du?
Das Experiment könnte dann noch weiter gehen. Um Inhalte möglichst unwiderstehlich zu machen, könnten diese vom freien Markt entwickelt werden, mit einem einzigen finanziellen Anreiz: Je mehr Aufmerksamkeit du abziehen kannst, desto mehr verdienst du. So kann sichergestellt werden, dass die impulsiven Teile der Menschen angesprochen werden, dass triggernde Inhalte, Inhalte die wütend machen oder sexuell stimulierend sind, die zu kurzfristigem und unbedachtem Verhalten führen, gefördert werden.
Ausserdem könnte die Ökonomie dahinter zentralisiert werden und die ganze Macht an ein einziges zentrales Unternehmen abgegeben werden.
Resultat
Wenn dieses Experiment vor 10 Jahren gestartet hätte, wo würde diese Gesellschaft heute stehen?
Neun von zehn Menschen würden wahrscheinlich nie das Haus ohne den iTrainer verlassen. Wiele würden vielleicht sagen, sie könnten nicht ohne ihn leben. Wahrscheinlich würden die Menschen alle Informationen über diese stimulierenden Kanäle beziehen. Sie würden Beziehungstipps, politische Meinungen und finanzielle Entscheidungen aufgrund dieser Reize treffen.
Wenn das Experiment gut klappt, dann würden die Leute den iTrainer hundertmal täglich anschauen und einen Drittel der wachen Zeit mit dem iTrainer verbringen.
Wenn das Experiment gut klappt, dann wäre es das erste und letzte, was Menschen an einem Tag machen würden.
Was denkst du, wäre das Experiment erfolgreich gewesen? Würde diese Gesellschaft unselbständig und willensschwach? Was denkst du, würde eine Ethikkommission so ein Experiment erlauben oder ist es unmenschlich?
Wie übernehmen wir die Kontrolle?
Dir ist sicher längst aufgefallen, dass Williams hier über die Welt spricht, in die wir leben, nur dass niemand bewusst geplant hat uns unselbständig und willensschwach zu machen (hoffentlich).
Das Smartphone hält uns vom guten Leben ab, weil wir die Kontrolle über unsere Aufmerksamkeit verlieren. Es ist so schwierig zu widerstehen:
- Es ist immer und überall präsent, zu jeder Tages- und Nachtzeit, bei jedem Anlass.
- Die Unterhaltung hört nie auf, es gibt immer etwas Neues und Verlockendes. («Gestern habe ich YouTube fertiggeschaut.» ?)
- KI, die dich besser kennt, als du dich selbst (wann klickst du auf was?)
Deshalb ist die wichtigste Frage, die du dir heute stellen kannst: «Mit wem und wie möchte ich meine Zeit verbringen?».
Mit wem und wie wir unsere Zeit verbringen, ist eine direkte Folge davon, wie wir mit dem Internet umgehen. Es ist offensichtlich, dass jede Minute Bildschirmzeit auf Kosten von anderen Aktivitäten geht, und deshalb sind bewusste Entscheidungen in diesem Bereich unseres Lebens unverzichtbar.
Informationen sind heute überall verfügbar. Wir schauen alles, immer und überall nach. Unsere Aufmerksamkeit ist aber limitiert. So auch unsere Zeit in diesem Leben. Dies gilt es zu verteidigen.
Deine Challenge
Ich habe diese Woche eine NoPhoneChallenge für dich:
Immer, wenn du im ÖV warten musst, dann nimm das Handy nicht hervor. Warte ohne Handy auf den Bus oder Zug und schau dich um. Lächle die Leute freundlich an.
Viele sind selbst mit der Aufmerksamkeit in digitalen Räumen. Schau auch die einmal an. Wirken sie entspannt? Wirken sie glücklich? Sieht so das gute Leben aus?
Natürlich können wir das nicht so einfach beantworten, viele lösen ein Ticket oder erledigen etwas Wichtiges. Nimm aber für eine Woche die Challenge an. Schau, wie oft du Augenkontakt herstellst, wie viele Leute zurücklächeln und wie viele betäubte Leute du antriffst.
Schreib deine Erfahrungen in die Kommentare (aber nicht an der Bushaltestelle ?), ich bin sehr gespannt, wie es dir mit der Challenge geht!
1 Kommentar zu „Krise des freien Willens: Gedanken über unsere Zeit“
nices!! Der Manipulation entkommen: Zeitmanagement in der Ära hochentwickelter Technologien